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Systemaufstellung und Selbstliebe (Teil 2)

Ein Interview mit Anja und Michael Hadrossek, die seit Jahren Systemaufstellungen anbieten

Anja und Michael Hadrossek
Die Heilpraktikerin Anja Hadrossek (links) mit ihrem Mann Michael Hadrossek. Der Geistheiler bringt Menschen in Kontakt mit dem Ganz-Sein und dem göttlichen Urvertrauen. © Foto: Michael Hadrossek
Um die Beziehung der Systemaufstellung zur Selbstliebe zu ergründen, haben erklärten Anja und Michael Hadrossek im ersten Teil des Interviews ihre Sicht auf das Wie und Warum einer Systemaufstellung. Dabei zeigte sich, dass systemische Aufstellungen allen Beteiligten vor allem dann etwas nutzen, wenn sie sich vom »Feld« führen lassen. Egal ob Aufstellender oder Stellvertreter/-innen: Diejenigen, die sich ganz und gar auf ihre Rolle einlassen, stärken ihre Fähigkeit zum Fühlen und können belastende Verhaltensweisen auflösen. Sie befreien sich von ihren Fixierungen unter anderem, indem sie jegliche Emotion wertfrei in ihr Herz nehmen. Im Gespräch ging es auch um belastende Verhaltensweisen, von denen manch Aufstellender sagt, er habe sie von seinen Ahnen übernommen. Nach Ansicht des Geistheilers Michael Hadrossek greift solch eine Aussage zu kurz und kann dazu führen, dass sich die Person weiterhin als Opfer empfindet. Sie gibt ihre Selbstverantwortung dann an die Ahnen ab. Moment, da gab es doch Rituale! Reicht es nicht, wenn ich etwa die energetischen Schnüre zu einem Ahnen löse, um einen Mangel an Selbstliebe loszuwerden? Hier beginnt Teil 2 des Interviews zu Systemaufstellungen und Selbstliebe.
Systemaufstellung versus Ritual: Belastende Verhaltensmuster wie etwa mangelnde Selbstliebe loslassen, die von den Ahnen vererbt wurde? Manche Menschen praktizieren zu diesem Zweck Vergebungs-Rituale. Diese helfen nach Ansicht des Geistheilers Michael Hadrossek jedoch nur, wenn das Unterbewusstsein bei diesem Akt mitspielt. © Foto: Depositphotos.com

Begrenzungen loslassen per Ritual?

Barbara Nobis: Meiner Erfahrung nach sind belastende Emotionen äußerst hartnäckig. Die verschwinden nicht durch das einmalige bewusste Spüren und Ins-Herz-Nehmen in einer Systemaufstellung aus einem Energiefeld. 

Michael Hadrossek: Da gebe ich dir recht. Diese Emotion ist noch da. Es ist so, als würdest du in einem Teekessel den Druck ablassen. Dennoch ist trotzdem noch kochendes Wasser im Teekessel. Die Frage ist also, wann ist die belastende Emotion tatsächlich weg?

Letzten Endes geht es weniger um die Emotion als vielmehr um die Abgrenzung – um die eigene Angst.  Ich erlebe häufig, dass Menschen beispielsweise Vergebungs-Rituale durchgeführt haben, um mit ihrem Unterbewussten zu arbeiten. Ich frage mich jedoch, ob das Unterbewusstsein diesen Weg tatsächlich mitgeht. Wenn es das tut, ist alles gut. 

Wenn das Unterbewusstsein diesen Weg jedoch nicht mitgeht, gärt es weiterhin in diesem Menschen. Allerdings bekommt der Kopf das dann möglicherweise nicht mehr mit. Das gilt insbesondere für ein Ritual, bei dem im Gegensatz zur Systemaufstellung kein Gegenüber ist, das das Geschehen im Bauch spiegelt. Daraus ergibt sich eine große Diskrepanz: Die Person nimmt im Kopf nicht mehr wahr, was sie im Bauch fühlt. Diese Schere zwischen Kopf und Bauch wird dann immer größer. Ebenfalls wächst der Leidensdruck. Allerdings sind diese Menschen irgendwann fast nicht mehr in der Lage zu erahnen, woher dieser Leidensdruck kommt. 

Barbara Nobis: Das heißt also, immer wieder dieses Bauchgefühl spüren. 

Michael Hadrossek: Ja, es geht darum, das Bauchgefühl zu spüren. Sich nicht davon abtrennen. Aber auch das Bauchgefühl, unsere Emotionen, sind nicht die Wirklichkeit, sondern nur eine Reaktion auf die Wirklichkeit. Auch unser Unterbewusstsein, welches sich ja durch das Bauchgefühl zeigt, ist ein Sammelsurium von Abtrennungen. Jede Abtrennung ist etwas, was mich vom Leben, von mir und von Gott trennt.

Magische Rituale oder ein Vergebungsritual, bei dem das Unterbewusstsein jedoch nicht hundertprozentig beteiligt ist, vergrößert unter Umständen die Schere zwischen Kopf und Bauch. Das verschärft möglicherweise den Leidensdruck. Foto: Depositphotos.com

Systemaufstellungen: Mitgefühl und Vergebung können der Schlüssel sein, um sich zu öffnen

Barbara Nobis: Zum Thema Gott kommen wir vielleicht noch später (lacht). Ich würde gerne (nochmals) über Vergebung und Mitgefühl sprechen. Du sagtest vorhin, dass ein Vergebungs-Ritual funktioniert, wenn das Unterbewusstsein diesen Weg mitgeht. Gleiches gilt doch auch für die Systemaufstellungen. Sind Mitgefühl und Vergebung bei einer Systemaufstellung nicht der Schlüssel zum Erfolg? 

Michael Hadrossek: Vergebung kann ein Schlüssel sein und ist bei den meisten Aufstellungen eine gute Hilfe. Vergebung heißt jedoch auch, dass ich nach wie vor in den Kategorien »schuldig und unschuldig« sowie »richtig und falsch« denke. Das muss nicht sein. 

Barbara Nobis: Dazu wurden wir ja beispielsweise durch unsere Eltern oder Lehrer/-innen konditioniert. Es klingt für mich daher ein bisschen ätherisch, wenn jemand sagt, dass es kein Falsch und kein Richtig gibt.

Michael Hadrossek: Stimmt. Diese Modalitäten von richtig und falsch haben wir in uns gespeichert. Dennoch heißt das nicht, dass ich ständig irgendjemandem etwas vergeben muss. Ich muss auch mir nichts vergeben. Manchmal reicht es, sich zu öffnen. Letztlich führt das »Sich-Verschließen« zu den Problemen. Dann eckt man aneinander an. Wenn ich mich mehr öffne, mag das ein Schlüssel sein, ebenso wie Vergebung ein Schlüssel sein kann.

Barbara Nobis: Es gibt wie bei allen Heilmethoden bei der Systemaufstellung kein Heil- und Erlösungsversprechen. Dennoch sind bei solchen Aufstellungen AHA-Effekte möglich. Dann sieht man zum Beispiel in der Aufstellung, dass der gefürchtete Vater aus Verzweiflung gehandelt hat.

Eine Systemaufstellung ist kein Garant für die Heilung. Dennoch sind AHA-Effekte möglich. Wenn die aufstellende Person beispielsweise sieht und spürt, dass ein ein Elternteil in der Vergangenheit aus Verzweiflung falsch handelte, kann dies das Mitgefühl fördern sowie den Wunsch zu verzeihen. © Foto: Depositphotos.com

Michael Hadrossek: Klar, das sieht man dann. Aber man schaut in einer Aufstellung natürlich auch in sich selbst hinein. Die Aufstellenden gehen ja meist davon aus, dass ihre Sicht der Dinge von den Darsteller/-innen übernommen wird. Sie denken, dass nur ihre Sichtweise die richtige ist. Allerdings wird man bei den Aufstellungen auch damit konfrontiert, dass es sich dabei um eine sehr subjektive Sichtweise handelt.

Anja Hadrossek: Man kann natürlich das Verhalten eines Großvaters oder von wem auch immer, nicht verändern. Man muss sich selbst ändern, und dann ändert sich das gesamte Energiefeld.

Bei der Aufstellung geht es ja letztlich darum, sich Dinge bewusst zu machen und in ein Gefühl zu kommen. Im besten Fall ist dieses Gefühl das Gefühl der Vergebung. Wenn man mitfühlt und den anderen versteht, kann man leichter vergeben. Insofern erlebe ich in den verschiedensten Rollen immer wieder, dass Vergebung ein großer Schlüssel sein kann, sich dem Problem wirklich zu öffnen, damit auch das Unterbewusstsein folgen kann.

Barbara Nobis: Das Mitgefühl könnte auch mir gelten. Dies gilt beispielsweise dann, wenn ich in einer Systemaufstellung in einer bestimmten Angst verharre und es nicht schaffe, eine andere Entscheidung zu treffen …

Michael Hadrossek: Es ist völlig in Ordnung, in seiner Rolle zu bleiben. Jeder hat die Freiheit zu entscheiden. Wie die Entscheidung ausfällt, spielt keine Rolle. Schließlich gibt es keinen richtigen und keinen falschen Weg.

Barbara Nobis: Wenn ich in der Angst verharre, werde ich weiter leiden …

Das Leid, das in einer Systemaufstellung gelöst wird – oder eben auch nicht! 

Michael Hadrossek: Wer definiert denn, wann ich leide oder nicht? 

Barbara Nobis: Was Leid ist, definiert zum Beispiel die aufstellende Person. Sie stellt wahrscheinlich deshalb ein Problem auf, weil sie es hinter sich lassen möchte.

Michael Hadrossek: Klären wir doch dazu zwei Fragen: Woher kommt das Leiden? Und was ist Leiden überhaupt? 

Leiden ist ja eine Unstimmigkeit zwischen unseren einzelnen Bewusstseinsebenen. So möchte uns unser Einheitsbewusstsein zeigen, dass wir es uns in einem bestimmten Punkt unnötig kompliziert machen. Dadurch entsteht für uns subjektiv Leid. Es entsteht nicht dadurch, dass wir psychische oder körperliche Symptome haben. Seelenqualen haben auch nicht zwangsläufig etwas damit zu tun, dass wir im Außen Beziehungsprobleme haben. 

Das Leid entsteht, indem wir uns das Leben schwer machen. Wir grenzen uns ab. Und sobald das Einheitsbewusstsein diese Abgrenzung als derartig störend empfindet, spüren wir vielleicht unterbewusst negative Emotionen. Es kann auch sein, dass sich eine Krankheit einstellt. Oder es gibt Probleme in der Beziehung zu anderen. Aber all das ist nicht die Ursache.

Wenn das Unterbewusstsein auf der körperlichen oder psychischen Ebene drückt, ist das eigentlich ein Vorteil. Dies nötigt uns dazu, über unsere Entscheidung nachzudenken und uns an unsere Grenzen zu tasten. Danach ist es an uns, eine neue Entscheidung zu treffen. Sie ist in Ordnung – egal, wie sie ausfällt. Das kann auch bedeuten, dass ich mich weiterhin abgrenze. 

Leid kann in einer Systemaufstellung sichtbar und fühlbar werden. Aber wie kommt es zu Leid? Dieses entsteht nach Ansicht von Michael Hadrossek, indem wir uns vom Einheitsbewusstsein abgrenzen. Sobald das Einheitsbewusstsein diese Abgrenzung als derartig störend empfindet, spürt ein Mensch vielleicht unterbewusst negative Emotionen. Es kann auch sein, dass sich eine Krankheit oder andere Probleme einstellen. © Foto: Barbara Nobis
Leid kann in einer Systemaufstellung sichtbar und fühlbar werden. Aber wie kommt es zu Leid? Dieses entsteht nach Ansicht von Michael Hadrossek, indem wir uns vom Einheitsbewusstsein abgrenzen. Sobald das Einheitsbewusstsein diese Abgrenzung als derartig störend empfindet, spürt ein Mensch beispielsweise unterbewusst negative Emotionen. Es kann auch sein, dass sich eine Krankheit oder andere Probleme einstellen. © Foto: Barbara Nobis

Systemaufstellungen können die Entscheidung fördern, »Ja« zum Leben zu sagen! 

Barbara Nobis: Also ist es wichtig zu ergründen, warum ich etwa in einer Systemaufstellung an einem belastenden Gedanken festhalte. Da komme ich auf Hellingers Aussage zurück, es gehe darum, sich dem Leben zuzuwenden. Ich meine, dass Du mal etwas Ähnliches gesagt hast. Es geht da um den Satz 

»Komm ins Leben«, wobei es auch in Ordnung sei, dies nicht zu tun. 

Michael Hadrossek

Michael Hadrossek: »Komm ins Leben« heißt einfach: Öffne Dich! Sag Ja zum Leben und genieße Dein Leben! Genieße Dich! 

Anja Hadrossek: Für mich bedeutet das: Fange an, dich zu bewegen! Wenn man an einer Angst festhält und sich innerlich zurückzieht, führt dies zur Bewegungslosigkeit. »Öffne Dich« heißt einfach: Gehe nach vorne. Schau nach vorne. Lerne wieder, dich zu bewegen. 

Michael Hadrossek: Ich finde es sehr schön, wenn man selbst merken darf, dass man die Zügel in der Hand hat. Man kann ganz viel ändern, wenn man das tatsächlich tut – statt sich hin und wieder eine Veränderung der Situation zu wünschen. 

Komm ins Leben! Dieses Motto des Heilers Michael Hadrossek gilt nicht nur für Systemaufstellungen. Im übertragenen Sinn geht es darum, sich und das Leben zu genießen. Es gilt, mit dem zu sein, was im Moment ist – so wie ein Baum, der wächst, der beschnitten wird und vergeht. © Foto: Barbara Nobis
Komm ins Leben! Dieses Motto des Heilers Michael Hadrossek gilt nicht nur für Systemaufstellungen. Im übertragenen Sinn geht es darum, sich und das Leben zu genießen. Es gilt, mit dem zu sein, was im Moment ist – so wie ein Baum, der wächst, der beschnitten wird und vergeht. Dabei ist er stets im Einklang mit allem. © Foto: Barbara Nobis

Systemaufstellung: Kann man belastende Situationen gefahrlos für sich allein mit Spielfiguren aufstellen? 

Barbara Nobis: Bedarf es beim Familienstellen einer professionellen Ausbildung? Das frage ich auch deshalb, weil ich im Internet mal eine Anleitung gefunden habe, um für sich selbst ein System aufzustellen. Inwieweit ist es sinnvoll, eine Aufstellung mit Steinen oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Figuren zu bewerkstelligen? 

Michael Hadrossek: Gefährlich ist dies sicherlich nicht. Es ist eher die Frage, wie tief derjenige damit kommt. Du hast ja dann in die verschiedenen Rollen zu schlüpfen. Gelingt das wirklich in der ganzen Tiefe, oder verweilst du nach wie vor in deinem Kopf? 

Die Frage ist auch, wie schnell du in die einzelnen Rollen wechseln kannst. Als du bei einer Aufstellung zugeschaut hast, hast du sicherlich gemerkt, dass jeder Rollenspieler auf eine bestimmte Sichtweise fixiert war. In dieser Situation konnte die Person die Sichtweise der anderen gar nicht mehr nachvollziehen. Und es gibt ja dann auch Spannungen zwischen den einzelnen Sichtweisen. Es dauert lange, bis man eine Annäherung feststellt. Jeder ist von seiner Sichtweise überzeugt und glaubt, alle anderen liegen falsch. 

Anja Hadrossek: Ich frage mich, was eine richtige Ausbildung ist. Da wird ja vieles angeboten an Kursen und Workshops. Aber welche ist jetzt die Richtige für mich? In meiner Heilpraktikerausbildung habe ich eine gewisse Grundlage hinsichtlich des Familienstellens bekommen. Ich habe viele Seminare besucht. Letztendlich habe ich mir jene Dinge herausgesucht, mit denen ich etwas anfangen konnte.

Michael Hadrossek: Ich glaube, dass es sehr viele verschiedene Ansätze bei den Aufstellungen gibt. Ich denke aber auch, dass man dahin geführt wird, wo es für einen selber auch passend ist.

Systemaufstellungen alleine mit Spielfiguren praktizieren? Das kann nach Ansicht des Geistheilers Hadrossek eine herausfordernde Angelegenheit sein. Schließlich muss sich eine Person gleichzeitig in die verschiedenen Rollen und Blickwinkel der Figuren einspüren. © Foto: Barbara Nobis

Jede Ich-Identifikation bringt Ballast und Trennung mit sich

Barbara Nobis: Lasst uns nochmals über das Herumschleppen unangenehmer Emotionen sprechen, die ja in einer Systemaufstellung sichtbar werden. 

Anja Hadrossek: Schleppt nicht jeder irgendetwas mit sich herum? 

Barbara Nobis: Wahrscheinlich bis ans Lebensende …

Michael Hadrossek: Ja, und wahrscheinlich auch darüber hinaus. Denn was ist am Ende des Lebens?

Anja Hadrossek: Das gehört zum Ich-Sein dazu. Sobald ich »Ich« sage, muss ich etwas mit mir herumschleppen. 

Barbara Nobis: Solange ich mich mit diesem »Ich« identifiziere, werde ich wahrscheinlich auch all meine Grenzen mit mir herumtragen.

Michael Hadrossek: Und dann können wir uns fragen, was diese Ich-Definition eigentlich ist.

Barbara Nobis (Lacht): Nach meinen Recherchen ist es ein Konstrukt aus teils wertenden Gedanken…

Michael Hadrossek: Das »Ich« ist eine Gedankenkonstruktion. Und das Interessante ist, dass sie sich durchaus verändern kann. Aber eigentlich ist dieses Gedankenkonstrukt unwichtig.

Barbara Nobis: Ist diese Gedankenkonstruktion tatsächlich unwichtig? Es heißt ja, dass sich das »Alles-Was-Ist« durch diese illusionäre Gedankenkonstruktion erfahren möchte. 

Michael Hadrossek: Das ICH nimmt die Identifikation mit bestimmten Vorstellungen wichtig. Man macht sie vielleicht auch damit wichtig, aber sie sind damit nichts Festes. Sie sind ein Konstrukt, auf das man sich festlegt. Du kannst ja von einer Festlegung in die nächste hüpfen. Nehmen wir als Beispiel das Alter. Da definiert man sich ja immer wieder anders. Es ist folglich gar nicht so wichtig, wie ich mich selbst wahrnehme. 

Jede Identifikation mit dem gedanklichen Konstrukt des (ver)urteilenden »Ichs« beziehungsweise des Egos schwächt das Gefühl, Teil des Ganzen und miteinander verbunden zu sein. Die Folge: Das getrennte »Ich« meint deshalb beispielsweise, sich vergleichen und hadert mit der Selbstliebe. © Foto: Depositphotos.com

Die Beziehung von Systemaufstellung, Selbstliebe und Gott

Barbara Nobis: Anfänglich hatte ich die Idee, die Systemaufstellung daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie die Selbstliebe fördern kann. Jetzt haben wir allerdings nicht viel über die Selbstliebe gesprochen.

Anja Hadrossek: Ich persönlich kann mit dem Begriff Selbstliebe gar nicht so viel anfangen. Nach meinem Empfinden wird das Wort heutzutage zu inflationär gebraucht. Das Ego wird hierbei viel zu sehr in den Vordergrund gerückt. Der ständige Vergleich auch durch die sozialen Medien führt zur Verunsicherung und bewirkt genau das Gegenteil – nämlich ein Mangelbewusstsein. 

Michael Hadrossek: Wenn ich etwas über die Selbstliebe sagen darf. Was ist das Selbst? Ich kann diesen Begriff auch ganz anders deuten: Dann ist das Selbst jetzt nicht das abgetrennte Wesen. Vielmehr meint dann der Begriff »Selbst« auf einer anderen Ebene das Leben. Es ist das, was uns alle verbindet.

Barbara Nobis: Aber wäre das dann nicht das Alles-Was-Ist? Wäre das nicht Gott? Ist das Leben, ist Gott nicht die Schöpfungskraft, die sich ausdehnt und sich selbst erfahren will? 

Michael Hadrossek: Wenn du dich jetzt auf die Entstehung des Universums beziehst, war ja alles da. Innerhalb von Sekunden hat sich die Energie ausgedehnt und wurde materialistisch. Für mich ist Gott alles, für mich ist Gott die Einheit. Es gibt keine Person, es gibt kein Gegenüber. Gott ist das, was alles zusammen ist. Es macht es auch gar nicht nötig, sich auszubreiten, aber es kann sich eben ausbreiten. Und in dem Fall sind wir jetzt ein Teil dieser Ausbreitung und damit auch ein Teil von Gott.

Anja Hadrossek: Das klingt so klischeehaft (lacht). 

Michael Hadrossek: Ich glaube die Erfahrung, die wir machen, die machen wir als ein Stück von »Immer- Noch-Gott«. Und deshalb ist diese Selbstliebe für mich auch schon darin gegeben, dass wir uns in der Verbindung mit dem Leben sowie mit anderen erfahren. Selbstliebe ist aber auch Teil unseres Erlebens unseres göttlichen Ursprungs. 

Anja Hadrossek: Es ist mit Sicherheit alles Gott. Ich empfinde es als göttlich, wenn ich mich dem öffne. In den Meditationen öffne ich mich für Gott, weil ich mich mit dem Menschen verbinde, dem ich in der Meditation gerade gegenüber stehe. Ich stelle mir dann vor, dass unsere Herzen miteinander verschmelzen. Ein Gefühl der Einheit breitet sich aus und genau das fühlt sich jedes Mal wie Gott an. 

Systemaufstellungen und Selbstliebe: Auf den letztgenannten Begriff hat das Ehepaar Hadrossek eine erfrischende Sicht. Denn: Welches Selbst will da geliebt sein? Ist es das abgetrennte Selbst, das Ego? Oder komme ich zur Selbstliebe, indem ich mit dem »Alles-Was-Ist« verschmelze. Dabei ist der Geistheiler der Ansicht, dass jeder Mensch ein Teil von Gott ist. Foto: Depositphotos.com

Selbstliebe erfahren, indem ich das »Ich« loslasse

Michael Hadrossek: Vielleicht gibt es auch verschiedene Formen der Selbstliebe. Diese Selbstliebe ist dann jene Liebe, wenn man eins wird. Das begreife ich dann als das »tiefere Ich«, dass wir alle in uns tragen. Manchmal kommen wir daran und dann fühlen wir uns zuhause und verbunden. 

Anja Hadrossek: Wenn ich mich im Zustand der Meditation befinde, weiß ich nicht, was Selbstliebe sein soll. Es fühlt sich für mich so an, als würde ich mich dem anderen öffnen. Das geht aber nur über mich. Ich muss mein Herz öffnen. Ist dies dann Selbstliebe? Ich weiß es nicht. Ich wüsste nicht, wie ich Selbstliebe definieren soll. Für mich ist dieses In-Verbindung-Sein ein göttlicher Moment, in dem ich alles liebe – inklusive mir selbst. 

Michael Hadrossek: Barbara, du sagtest einmal, dass für Dich das »Ich« ewig lebt. Wenn ich dieses Ich loslasse, bin ich automatisch wieder in diesem Gefühl, zu Hause zu sein. Dann bin ich gar nicht mehr »Ich«. Das fühlt sich extrem gut an. Natürlich fühlt es sich auch extrem gut an, hier zu leben – als ein »Ich«.

Anja Hadrossek: Wieder ins Hier und Jetzt zurückzukommen, ist für mich ebenfalls immer wieder eine sehr schöne Erfahrung.

Michael Hadrossek: Ja, es macht durchaus mal Spaß, diese Abgrenzung zu erfahren: Beispielsweise als vorübergehendes Abtauchen in die Melancholie. Oder der Mensch erlebt diese Abgrenzung, indem er genau jenen Dingen Raum gewährt, auf die niemand als er selbst Lust hat. Dann ist es in Ordnung zu sagen: »Nein, lass mich in Ruhe. Ich will jetzt zum Beispiel Motorrad fahren«. 

Selbstliebe ist für mich diese Ich-Erlebnisreise, bei der ich vom Ego zum Einheitsbewusstsein wechsele. Bei dieser Reise löst sich das Ego, das »Ich« im Wir-Gefühl auf – mit einem erstaunlichen Effekt: Man fühlt Zufriedenheit, man vertraut sich selbst und allem – was immer auch passiert. 

In der Aufstellungsarbeit, den Einzelsitzungen und den Seminaren führe ich die Teilnehmer ständig an ihre eigenen Grenzen und darüber hinaus – sofern die Bereitschaft dazu vorhanden ist. Das ist jedes Mal eine Befreiung aus dem eigenen, engen Korsett von Ängsten, Unzulänglichkeiten, dem eigenen Willen und Enttäuschungen. Das ist für mich Liebe und damit natürlich auch Selbstliebe.

Auch in einer Systemaufstellung kann ich mich der Selbstliebe nähern, wenn ich das »Ich« mitsamt all seinen Vorstellungen loslasse. Selbstliebe ist für Michael Hadrossek eine Ich-Erlebnisreise, bei der ein Mensch vom Ego zum Einheitsbewusstsein wechselt. Bei dieser Reise löst sich das Ego, das »Ich« im Wir-Gefühl auf – mit einem erstaunlichen Effekt: Die Person fühlt Zufriedenheit, sie vertraut sich selbst und allem – was immer auch passiert.  Bild von Depositphotos.com

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