Rezension: HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung von Marianne Power
Lesedauer: | 8 Minuten |
Buchtitel: | HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung |
Lesesterne: | **** (4 von 5 Sternen) |
Autor: | Marianne Power |
Rezensentin: | Barbara Nobis |

Help Me! Ein teils humorvoller Bericht über den Versuch, sich selbst zu finden
Marianne Power nimmt uns in ihrem Buch »HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung« mit auf eine ungewöhnliche Reise: Ein knapp 1,5-jähriger Selbstversuch, bei dem sie Monat für Monat ein neues Selbsthilfebuch nicht nur liest, sondern auch konsequent in ihrem Alltag umsetzt.
Auf der Innenseite des Umschlags finden wir die Liste der zwölf Selbsthilfe-Ratgeber, die ihr Leben nicht verändert haben, wobei dieses NICHT durchgestrichen ist. Da stellt sich die Frage, was denn nun wahr ist: Hat das Durcharbeiten der Selbsthilfebücher tatsächlich einen tiefgreifenden Effekt auf die persönliche Entwicklung und Selbstfindung von Marianne Power gehabt? Und inwieweit tragen Bücher über den Umgang mit Geld oder Matthew Husseys Werk »Get the Guy« zur Erleuchtung bei?
12 Stationen der Selbstfindung: Von Susan Jeffers bis Louise Hay
Meinem Empfinden nach profitiert auch dieses Buch vom Glücksversprechen der Selbstoptimierungsindustrie. Warum? Es stellt mit fast jedem neuen »konsumierten« Autor einen weiteren Ansatz vor, um voller Selbstvertrauen, voller Selbstliebe, wohlhabend und selbstverständlich gesund und erfolgreich in Beziehungen und Partnerschaft durchs Leben zu gehen. Ganz nach dem Motto: »Get 12 for the price of one«. Zusätzlich unterhält Marianne Power in »HELP ME! ihre Leser/-innen durch die humorvolle und authentische Darstellung ihrer Erfahrungen mit dem jeweiligen Selbsthilfebuch.
Beginnen wir mit SUSAN JEFFERS Werk »Selbstvertrauen gewinnen: Die Angst vor der Angst verlieren«. Dieses Buch wird für Marianne Power zum Leuchtturm des Januars. Sie schreibt sich eine Liste mit zwanzig Aktivitäten, vor denen sie Angst hat und geht diese beherzt an:
So spricht sie beispielsweise einen fremden Mann in der U-Bahn an, schaut einen Horrorfilm, steht Nacktmodell vor den Teilnehmenden eines Volkshochschulkurses, feilscht in einem Geschäft um Rabatt oder lässt sich endlich vier Zahnfüllungen machen. Am Ende des ersten Kapitels zieht Marianne ein positives Fazit:
Wenn ich meine Ängste überwand, anstatt vor ihnen wegzulaufen, wäre ich wahrscheinlich ein ganz anderer Mensch. Wenn ich endlich die Sorge los würde, mich vor anderen lächerlich zu machen, könnte ich vielleicht endlich mein Leben in die Hand nehmen, anstatt von der Seitenlinie zuzugucken. Und wenn ich nicht ständig auf der Hut wäre und Angst vor dem Urteil anderer hätte, würde mir vielleicht auch klar, dass meine Mitmenschen eigentlich dazu da sind, mich zu unterstützen und mir zu helfen. Denn im Grunde haben wir doch alle dieselben Ängste.
Quelle: Marianne Power, »HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung«, S. 43
Authentisches Selbst versus stetige Selbstoptimierung
Soweit, so nachahmungswert. Doch wird die Autorin durch die darauf folgenden Bücher wirklich ein anderer Mensch? Trägt jedes Buch zur Entwicklung eines authentischen Selbst von Marianne bei? Ja und nein. Im Februar arbeitet sich die Autorin, die notorische Finanzprobleme hat, durch KATE NORTHRUPS Ratgeber »Das liebe Geld – Sei nett zu ihm, dann ist es immer bei dir«. Allerdings setzt sie nur sehr wenige Ratschläge um und belässt die Dinge beim Alten.
Denn: Ab März steht bereits das nächste Thema an. Marianne übt sich im Manifestieren anhand des Bestsellers »The Secret« von Rhonda Byrne. Sie erstellt ein Vision-Board, das unter anderem folgende Elemente zeigt: Ein schickes Haus (bei weiterhin chaotischen Finanzen), grüne Smoothies (trotz ihrer Vorliebe für Pasta und Rotwein), ein männliches Model mit Bart. Dieses Visionboard entspricht genau dem Bild der Selbstoptimierungs-Industrie mit schönen, glücklichen, jungen, wohlhabenden Menschen. Bringen die Selbsthilfebücher über das Wohlhabend-Werden und Manifestieren die Autorin ihrem wahren Selbst näher? Wohl kaum.
Im Monat April traut sie sich an Jason Comelys Selbsthilfe-Ratgeber »Rejection Therapy«. Sie bewirbt sich bei einer Musikshow, um eine Ablehnung zu kassieren, da stirbt ihr Onkel. Marianne reist nach Irland. Hier wird der Autorin bewusst, welch ein privilegiertes Leben sie führt und hinterfragt ihr Selbsthilfe-Projekt. Der Grund: Sie stellt fest, dass sie im Gegensatz zu ihren Liebsten seit Monaten nur noch um sich selbst kreist. Dennoch führt sie ihr Experiment fort, diesmal mit wertvollen Erkenntnissen: Durch die »Ablehnungstherapie« konnte Marianne (zumindest in diesem Monat) ihre Angst vor Ablehnung überwinden. So lernte sie einen wundervollen Mann kennen und ergatterte sich einen Job als Kolumnistin.

HELP ME! zeigt, dass die Selbsthilferatgeber mit ihren teils sehr konträren Strategien die Autorin beinahe innerlich zerreißen
Mit den folgenden Büchern geht das gefühlte Auf und Ab der Autorin weiter: Um ihrer Wahrheit entsprechend zu leben, verabschiedet sie sich von der Höflichkeit und einem gepflegten Äußeren, sie lässt auch ihre Karriere los, wodurch diese wieder ins Hintertreffen gerät. Was soll’s? Es gilt darauf zu vertrauen, dass alles gut wird.
Bei Anthony Robbins Retreat schwört sich Marianne dann wieder auf das Gegenteil ein. Vertrauen und loslassen? Von wegen! Marianne wird einen Monat lang zur disziplinierten Sportlerin und zur Smothie-Trinkerin, die über glühende Kohlen läuft. Sie verlässt das Robbins-Seminar mit dem Gefühl, alles schaffen zu können. Sie ist der festen Überzeugung, ihr altes neurotisches Ich verabschiedet zu haben. Doch dieser Zustand hält nicht lange an. Nach mehreren Retreats ist Marianne Power mit 20.000 Pfund verschuldet und erkennt, dass die Selbsthilfe ein Geschäftsmodell ist. Was wird verkauft? Ganz einfach, die Hoffnung, mittels des Selbsthilfe-Produkts XY den ultimativen Weg zum Glück zu bekommen! Das funktioniert nach demselben Prinzip, wie wir es bereits aus der Werbung für Mode, Genussmittel, Autos oder Reisen kennen. Die Botschaft: Kaufe mein Produkt, dann bist du glücklich!
Marianne Powers Buch HELP ME! zeigt, wie dieses Hin und Her an Strategien zur Selbstoptimierung und Selbstfindung die Autorin innerlich zerreißt. Nach einigen Monaten der Nabelschau erkrankt Marianne und ist mit sich und der Welt im Unreinen. Sie zieht ein weiteres Resümee, das sehr ernüchternd ausfällt:
Neun Monate lang hatte ich nur an mich gedacht. Ich, ich, ich, die ganze Zeit. Ich analysierte jede Sekunde meines Lebens und jede Facette meiner Persönlichkeit. Es gab kaum einen Augenblick, in dem ich nicht nachgrübelte: warum habe ich das gesagt? Warum habe ich das getan? Betreibe ich selbst Sabotage? Habe ich Angst, abgewiesen zu werden? […] diese seltsame Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass alles, was ich anfasse, zum Scheitern verurteilt war. Und diese Stimme wurde mit jedem Tag lauter. Trotz der mutigen Taten und schönen Momente kam ich mir vor, wie die größte Knalltüte, weil mir das mit der Selbstoptimierung einfach nicht gelingen wollte.
Quelle: Marianne Power, »HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung«, S.213/214
HELP ME! Trotz der Krisen, die mit dem Durcharbeiten aller Selbsthilfe-Bücher einhergehen, bringt Marianne Power ihr Projekt zu Ende
Dennoch setzt die Autorin ihr Experiment fort. Und wie das Leben so spielt, stellt sich mit Eckhart Tolles Buch »Jetzt« eine Phase der Entspannung und der Klarheit ein. Marianne entdeckt die Langsamkeit. Sie beobachtet achtsam beim Spazierengehen im Park ihre Schritte. Sie schafft ihre Arbeit, ohne sich dabei gestresst zu fühlen.
Allerdings braucht es nicht lange – und Marianne hasst sich wieder. Mein Eindruck: Einen wirklichen Wendepunkt in der Persönlichkeitsentwicklung und in der Spiritualität scheint das Durcharbeiten der Bücher nicht zu bringen – trotz des hoffnungsfrohen Endes ihres Experiments nach 16 Monaten. Hier sieht sich Marianne Powers als Frau, die der Welt mit einem Herzen begegnet, dass offen ist für die Liebe. Sie ist bereit, ihren Herzensmann zu besuchen und benötigt fast eine ganze Seite, um ihre verinnerlichten Weisheiten kundzutun. Hier nur die ersten Zeilen …
[…] Sei ehrlich. Sei liebenswert. bewege dich, lache, ärgere dich nicht. Wage dich an schwierige Gespräche und schwierige Aufgaben heran. Renn nicht weg. Sage ruhig klar und respektvoll, was du denkst. Menschen sind keine Gedankenleser. Spuck es aus. Sei fleißig und erfreue dich an deinem Fleiß. Ziehe stolz und Zufriedenheit aus deinen Fähigkeiten, denn sie sind größer als du denkst. Hab Selbstvertrauen. Traue dich an großes, warum denn auch nicht? Was soll schon Schlimmes passieren? Scheitern bringt keinen um. Sag nein. Sag ja.…
Quelle: Marianne Power, »HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung«, S. 347
HELP ME! 12 Wege zur Erleuchtung: Authentisch, humorvoll – und nach jedem Hoch folgt immer wieder ein Tief
Ob diese Weisheiten abermals auf einem vorübergehenden Hochgefühl beruhen? So richtig überzeugt von einer tiefgreifenden persönlichen Entwicklung der Autorin war ich am Ende von »HELP ME! – 12 Wege zur Erleuchtung« nicht. Ja, Marianne Power schreibt ehrlich und humorvoll, aber die Struktur des Buches zeigt: Nach jedem Zwischenhoch folgt immer wieder ein Tief. So ist nun mal das Leben – für Selbstoptimierer als auch für jene Menschen, die mittels der Erleuchtung die Einheit mit »Allem, was ist« anstreben. Wie formulierte es eine spirituelle Persönlichkeit kürzlich? »Das Ego wird immer wieder versuchen, sich einzuschleichen – sei es in einer verfeinerten Form als Heilender, als Übermittler des göttlichen Bewusstseins – oder einfach nur dadurch, dass wir in Stress-Situationen alte, unliebsame Gewohnheiten wieder aufnehmen.«

Fazit: Marianne Powers Werk bietet einen unterhaltsamer Blick in den Spiegel unserer Selbstoptimierungs-Gesellschaft
Auch dies spiegelt Marianne Powers Buch HELP ME! – Der Weg zur Selbstfindung und tiefgreifenden persönlichen Entwicklung ist oft steinig und führt oft eben nicht zum gewünschten Erfolg. Das Leben fordert uns Menschen immer heraus. Dabei stellt sich die Frage, ob wir es nicht sind, die uns mittels unseres Egos immer wieder ein Leben erschaffen, dass wir als herausfordernd empfinden. Denn: Solange wir atmen und morgens die Augen aufschlagen, werden wir meines Erachtens das Ego nicht gänzlich auflösen können. Wir werden uns immer wieder aus einer bestimmten Perspektive heraus »unsere Wahrheit und unsere Welt« kreieren. Das betrifft sowohl Menschen, die ihr Ego los werden wollen als auch jene, die sich einfach nur selbst optimieren und ihre Persönlichkeit entwickeln wollen.
Apropos Erleuchtung: Ich finde den Untertitel »12 Wege zur Erleuchtung« irreführend. Denn meiner Ansicht wählt Marianne Power mit Eckhart Tolles Buch JETZT nur ein einziges Werk, welches das Erwachen zum zentralen Thema hat. Und: Zu keinem Zeitpunkt geht es für Marianne Power um eine Erleuchtung im Sinne einer Ego-Auflösung. So wirkt der Untertitel »12 Wege zur Erleuchtung« eher wie ein Marketing-Gag. Auch deshalb vergebe ich dem Buch »HELP ME! 4 von 5 Sternen.